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Frisch gebacken: Marzipan aus Berlin
Das westliche Charlottenburg, kurz vor der Messe, hat seinen Vorstadtcharakter behalten.
Es dominieren kleine Geschäfte, deren Einrichtung zwischen Christie’s und Sperrmüll schwankt. Auf den ersten Blick erinnert die schmale Front von Königsberger Marzipan Wald daran, wie Fahrschulen ihre Schaufenster gestalten. Im Laden aber verrät schon die dreiflügelige Vitrinentheke, dass hier etwas Besonderes verkauft wird. Ihre Konsole ist mit verblichenen Fotos des Gründerpaares Wald sowie der Ansicht einer Königsberger Kirche geschmückt. Darüber liegen Marzipanspezialitäten hinter blitzendem Glas. Daumenstarke Brote, handtellergroße Herzen mit rosa Fondantspiegel, Kringel und Pralinen sind fein säuberlich auf Tabletts geschichtet.
Marzipanschweinchen und andere Figuren sucht man vergebens. „Um denen Stabilität zu geben“, sagt Anneliese Tessarz, „müsste ich unser Marzipan mit Zucker strecken.“ Die heutige Inhaberin blickt bei diesen Worten mit einem Anflug von Strenge über ihre Lesebrille hinweg. Ohnehin wirkt die Tochter der Walds wie eine Dame von Welt, die es nur zufällig hierher verschlagen hat. Gleichwohl verrichtet sie ihre Arbeit mit akribischer Sorgfalt, wofür der rote Tesa-Spender symbolisch ist, den sie wie eine Stickkissenspange am Unterarm trägt.
Die Hauptstadt hat außer dem Berliner, der an der Spree schlicht Pfannkuchen heißt, keine nennenswerte Süßware hervorgebracht. Umso mehr erstaunt es, dass man ausgerechnet hier erstklassiges Marzipan herstellt. Einst wetteiferten die Hansestädte Lübeck, Reval und Königsberg um die schmackhafteste Mandel-Zucker-Masse. Der Königsberger Typ wurde 1939 mit Irmgard und Paul Wald in Berlin sesshaft.
Königsberger Marzipan unterscheidet sich vom populären Lübecker beträchtlich – insbesondere wenn er in einer kleinen Manufaktur täglich frisch gemacht wird. „Das Rezept haben wir seit 1949 nicht verändert“, sagt Frau Tessarz stolz. Beim Verkosten bemerkt man den herzhaften, leicht röstigen Mandelgeschmack, der nicht vom Zucker überdeckt wird. „Mir liegt viel daran, dass wir südeuropäische Mandeln verarbeiten“, erklärt die Chefin. „Nur bei argen Ernteausfällen nehmen wir kalifornische Sorten. Denn die sind leider ein bisschen weniger aromatisch.“
Der Hauptunterschied zu den bekannteren Sorten jedoch ist, dass der geformte Teig aus gemahlenen Mandeln, Puderzucker und gelegentlich Rosenwasser in einen Ofen geschoben wird. Dessen Gasflammen sorgen nicht nur für eine gebräunte Oberfläche, sondern auch für einen leichten Karamellton. Das so entstandene klassische Königsberger Teekonfekt, Marzipan in Reinkultur, hält sich ohne Zusatzstoffe für mindestens drei Wochen.
Ob sie auch Wurzeln in Ostpreußen habe, will Frau Tessarz von einer Kundin wissen. Natürlich, erwidert die: „Warum sonst stehe ich hier wohl so lange an?“ Da gäbe es auch andere Gründe.
Quelle: DIE ZEIT (Link)
Autor: Thomas Platt
Datum: 12.12.2007
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